Timaios by Platon
Autor:Platon [Platon]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: philosophy
veröffentlicht: 2003-10-01T22:00:00+00:00
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Weissagekunst gerade der menschlichen Unvernunft
verliehen hat: keiner nämlich, der bei klarem Bewußtsein ist, findet einen gotterfüllten und wahren Seherspruch, sondern das geschieht nur entweder im Schlaf, wenn die Verstandeskraft gehemmt ist, oder infolge einer Krankheit oder wenn durch eine Art Gottbesessenheit eine Veränderung mit ihm vorgegangen ist. Dagegen muß man bei klarem Verstande sein, um sich die Worte, die man im Traum oder im Wachen durch die Einwirkung der Sehergabe und der Gottbegeisterung gehört hat, wieder ins Gedächtnis zu rufen und zu überdenken und um all die Erscheinungen, die man gesehen hat, durch vernünftige Überlegung zu zergliedern und festzustellen, in welcher Hinsicht und für wen sie auf ein bevorstehendes oder vergangenes oder gegenwärtiges Glück oder Unglück hindeuten. Wer dagegen noch verzückt ist und in diesem Zustand verharrt, dessen Sache kann es nicht sein, das zu beurteilen, was ihm erschienen ist und was er selber verkündet hat. Sondern man behauptet schon immer mit Recht, nur dem, der bei Besinnung ist, komme es zu, zu handeln und zu erkennen, was er tun soll und wer er ist. Daher rührt denn auch der Brauch, die Gilde der Propheten als Deuter bei den göttlichen Weissagungen einzusetzen. Einige bezeichnen freilich diese Propheten als Seher; das sind aber nur solche, die ganz und gar nicht wissen, daß sie bloß Ausleger der rätselhaften Worte und Erscheinungen sind und durchaus keine Seher, sondern daß man sie am richtigsten eben als Propheten (das heißt als Verkünder und Deuter) der Weissagungen bezeichnen sollte.
Deshalb hat also die Leber diese Beschaffenheit und ist von der Natur an die von uns beschriebene Stelle gesetzt worden: um der Weissagekunst willen. Und solange das Leben eines jeden dauert, sind die Zeichen, die sie gibt, noch deutlicher erkennbar; ist ihr aber das Leben genommen, so wird sie blind, und ihre Weissagungen werden zu verschwommen, als daß sie noch irgendeine klare Bedeutung haben könnten. Was nun aber die Bildung und den Sitz des Eingeweides in ihrer Nachbarschaft betrifft, so ist dieses an ihrer linken Seite um ihretwillen geschaffen worden, um sie allezeit glänzend und sauber zu halten, so wie für einen Spiegel ein Wischtuch gefertigt ist und jederzeit neben ihm bereit liegt. Wenn also infolge leiblicher Krankheiten gewisse Verunreinigungen um die Leber herum entstehen, so wischt die Milz in ihrer lockeren Beschaffenheit sie alle wieder sauber weg und saugt sie in sich auf, weil sie ein poröses und blutloses Gewebe ist. Sie füllt sich also mit dem Unrat an, wird groß und von innerlicher Verderbnis aufgebläht. Wenn dann der Leib gereinigt ist, schwillt sie wieder ab und sinkt zu ihrem ursprünglichen Umfang zusammen.
Was nun also die Seele betrifft, wieviel Sterbliches und wieviel Göttliches sie enthält, und wie und in welcher Umgebung und weshalb die beiden getrennt angesiedelt wurden – daß sich das in Wahrheit so verhält, wie wir es gesagt haben, das dürften wir nur dann sicher behaupten, wenn Gott selbst damit einverstanden ist. Daß aber das, was wir vorgebracht haben, wenigstens die Wahrscheinlichkeit für sich hat, diese Behauptung dürfen wir jetzt schon und bei näherer Betrachtung erst recht wagen, und so sei sie denn auch gewagt.
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